Erzählungen Kafkas

Der Literaturkreis des Civilclubs befasst sich zum 100. Todestag Kafkas mit Texten des großen Schriftstellers der literarischen Moderne.

Die Vielschichtigkeit der kafkaesken Welt erschließt sich dem Leser bei der Lektüre der zahlreichen Erzählungen und Parabeln nicht eindeutig, denn sie lassen keine Lösungen, keine rationalen Erklärungen, keine Gewissheiten zu. Sie spiegeln die moderne absurde Welt, in der es keine Sicherheit, keine Bindung, keine religiöse Heilsbotschaft gibt. Der Mensch fühlt sich verloren und fremd in unüberschaubaren Situationen, in einer rätselhaften und alptraumhaften Umgebung. Bürokratie ordnet nicht die Verhältnisse, sondern bedroht ihre hilflosen Opfer, die sich verzweifelt in einem Labyrinth verlieren. Machtstrukturen dienen dazu, die Untertanen einzuschüchtern und zu vernichten.

Die literarische Form der „Parabel“, die Kafka mit Vorliebe wählt, spiegelt diese rätselhafte, existentielle menschliche Situation. Die Bildebene wird nicht durch einen allwissenden Erzähler erklärt, sondern der Erzähler äußert sich in einem inneren Monolog oder in erlebter Rede, in einem „Bewußtseinstrom“ und lässt den Leser seine Gedanken zwar mitvollziehen, aber bietet keine übergeordnete Deutung an.

Die Teilnehmerinnen des Literaturkreises suchten in angeregtem Gespräch über einzelne Texte nach Erklärungen der Bildebenen. Durch die verschiedenen Beiträge ergaben sich unterschiedliche Interpretationsansätze, die zeigten, welch tiefsinnige und nuancierte Aspekte in diesen literarischen Kurzformen enthalten sind, die in klarer Sprache scheinbar realistische Ereignisse darstellen, die aber durch irritierende und absurde Elemente befremden und verstören.

Um die Aussagen und Gesichtspunkte Kafkas zu erfassen, genügen 90 Minuten nicht – darüber waren sich die Teilnehmer einig. Aus diesem Grund bestand der einstimmige Wunsch, im nächsten Literaturkreis am 4. Juli 2024 noch weitere Texte aus dem Band Kafkas „Die Erzählungen“ gemeinsam zu lesen und zu analysieren.

Text: Astrid Wesserling