Photographie und Impressionismus
Die bis zum 8. Mai laufende Ausstellung im Barberini vermittelt einen großartigen Einblick in die Entwicklung der Fotografie als neue Kunstform auch in Konkurrenz zur Malerei des Impressionismus von Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Es war kein Zufall, dass gerade ein französischer Maler, nämlich Louis Jacques Mandé Daguerre, als Erfinder des fotografischen Verfahrens gilt, das 1839 der Öffentlichkeit als Daguerreotypie vorgestellt wurde.
Auch die Fotografen „der ersten Stunde“ wie Charles Aubry, Auguste Collard und Gustave le Gray bedienten sich dieses Verfahrens, um auf dem Kunstmarkt ihre Bilder vervielfältigen und kostengünstiger als Gemälde anbieten zu können. Oft verwandten sie die gleichen Motive wie die Maler des Impressionismus: Den Wald von Fontainebleau, die Steilküste von Étretat oder die Metropole Paris. Wie die Impressionisten versuchten auch sie, wechselnde Lichtsituationen, Jahreszeiten und Wetterverhältnisse („Augenblicklichkeit“) darzustellen.
Wieder hatten wir den Vorzug, dass uns „unsere“ vertraute Kunsthistorikerin Dr. Ira Oppermann mit ihrem großen Sachverstand durch die Ausstellung führte. Sie begleitete uns von Saal zu Saal, erläuterte die einzelnen Objekte und beantwortete geduldig jede Frage. Mittlerweile bilden Frau Oppermann und die kunstinteressierten Mitglieder unseres Civilclubs schon so etwas wie eine vertraute Gemeinschaft. „Der Arbeitsprozess des Fotografierens in der Mitte des 19. Jahrhunderts war sehr aufwendig“, so Ira Oppermann. „Auch nach der Erfindung des Negativ-Verfahrens (1840), welches die Reproduktionen erst ermöglichte, mussten die Fotoplatten noch recht lange (45 bis 20 Sekunden) belichtet werden. Da von den Abzügen keine Vergrößerungen hergestellt werden konnten, hatten die Negativplatten eine Größe von mindestens 21 x 30 cm, was natürlich recht große Kameras (Foto) mit kräftigen Stativen voraussetzte. Die Platten wurden vor Ort vorbereitet. Der Fotograf musste ein Dunkelkammerzelt mit sich führen, um die Platten sofort nach der Aufnahme zu entwickeln“.
Am Beispiel seiner Meeresaufnahmen „Die Brigg, Seestück und Wolken“ beschrieb Ira Oppermann das vom Künstler Gustave le Gray erfundene sog. Sandwich-Verfahren, bei dem ein Positiv (Fotografie) durch zwei Negative belichtet wurde. Der damalige Stand der Fotografie setzte bei Aufnahmen von Wolkenformationen sehr lange Belichtungszeiten voraus. Andererseits erforderte das Fotografieren der Wellen und der Brandung eine kurze Belichtung. Mit Hilfe der Kombination der beiden Negative, die mit unterschiedlicher Belichtungszeit aufgenommen waren, gelangen Le Gray dramatische Fotografien, die an die „Seestü- cke“ der Romantik erinnern.
Ein weiteres Beispiel zur Entwicklung der Fotografie als Kunst sind die besonders vom Unternehmen „Ferrier père, fils et Soulier“ kurz hintereinander aufgenommenen Fotos eines Objekts (Stereoskopien), die durch das Stereoskop sichtbar werden. Sie wurden erstmals 1851 bei der Weltausstellung in London als Sensation vorgestellt. – Schlusspunkt der Führung waren farbige Fotografien des bekannten Fotokünstlers Heinrich Kühn (1866-1944), u.a. das nach dem Verfahren der Autochrome hergestellte und künstlerisch komponierte Bild „Landschaft“ von 1915.
Spätestens mit der Stilrichtung Piktorialismus hatte sich die Screenshot: Barberini Live Tour16 Kunst der Fotografie gleichwertig und auf Augenhöhe neben der Malerei etabliert und die hochnäsige Auffassung des französischen Lyrikers Charles Baudelaire aus dem Jahr 1859, die fotografische Industrie sei die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und der Faulen, und habe allenfalls sehr niedrig dienende Funktion, widerlegt. Eckard Andersson